18. April 2016

Alltagstauglichkeit oder Hundeplatzgehorsam?



Manchmal habe ich das Gefühl, es gibt nur das eine, oder das andere Extrem. Der Hund ist Alltagstauglich, kann überall mit hin, ist prima Leinenführig und hat auch sonst einen guten Gehorsam, was die Grundkommandos betrifft.
Oder die Hunde, die auf dem Agilityplatz, im DD-Ring oder auf dem Schäferhundeplatz einen perfekten (Kadaver-)Gehorsam zeigen, toll arbeiten, in den Pausen problemlos in der Box warten egal wie lange aber mit Alltagssituationen wie Leinenführigkeit oder einem einfachen "durch die Stadt gehen" heillos überfordert sind. 

Gemeinsames Tricksen mit einem anderen Hund - für Coffee
gar nciht so einfach, für mich aber auch wichtig!

Natürlich gibt es da genug Ausnahmen. Hunde, die beides können und gut von "Alltag" auf "Arbeit" umschalten können. Oder eben Hunde, die beides nur so halbwegs beherrschen - wie Coffee.



Trotzdem möchte ich dazu gern ein paar Worte sagen. Immer wieder lese ich Dinge wie:

Jaa, mein Hund hört auf dem Hundeplatz super. Der lässt sich beim Agi von Nix ablenken, ich kann ihn den halben Tag in der Box sitzen lassen, alles kein Problem. Er kann neben mir am Rand in seiner Box ruhen, während wie die Läufe von den anderen Teammitgliedern gucken.

Und dann kommt das große aber:
Aber er ist leider nicht Leinenführig und zieht wie Sau. Das stört mich aber nicht, weil er eh immer ohne Leine läuft. Und an der Leine bellt er auch immer allem hinterher, ist eben ein bisschen unausgeglichen wenn er nicht laufen darf. Manchmal springt er auch fremde Menschen an - aber das ist ja echt nicht soo schlimm. Und mit Kindern muss ich eh aufpassen weil der total grobmotorisch ist.
Allein bleiben kann er nur in seiner Box oder seinem Zwinger, weil er sonst alles auseinander nimmt!

Und in die Stadt würde ich mit ihm auch nicht gehen. Das ist für ihn total stressig. Aber naja, das muss er ja auch nicht können.

Die Stadt

Mir ist auch wichtig, dass Coffee angeleint vor dem Wohnwagen liegen kann
und sich nicht ständig irgendwo drumwickelt. Er soll ruhig
liegen und entspannen, gar nicht so leicht...aber machbar!
Warum finde ich es wichtig den Hund mit in die Stadt, oder mal mit in eine Geschäft nehmen zu können? Früher hab ich das gern gemacht, um Coffee einfach immer mal wieder einer neuen Situation auszusetzen und zu zeigen, dass überhaupt nichts passiert. Mittlerweile ist es für ihn kaum noch ein Problem, im Baumarkt am Regal liegend zu warten während ich nach der richtigen Schraube suche. Oder im Fressnapf nicht an die Leckerlies auf Nasenhöhe zu gehen. Er hat auch kein Problem damit, wenn wir im Sommer mal in die Stadt gehen wollen und er Wohl oder Übel mit muss - warum muss? Dazu gleich mehr.
Es gibt für mich allerdings auch Grenzen. Wenn ich weiß, dass es sehr voll ist oder er eh im Auto warten müsste (vor dem Laden binde ich ihn nicht an!), dann kommt er nicht mit. Im Sommer nicht aber auch im Winter eher nicht. Es bringt ja auch nichts - zuhause hat er viel mehr Bewegungsfreiheit als im Auto! 
Coffee musste also lernen, dass wir gemeinsam durch die Stadt laufen. Er sollte nicht vorrennen, aber viel wichtiger - er sollte wissen, dass ihm nichts passiert, wenn er bei mir bleibt. Eine Zeit lang, war er nämlich so überfordert, dass er sich einfach flach hingelegt hat und nicht mehr weiter gehen wollte. Daher haben wir geübt, dass ihn dort niemand anfassen will und halten immer viel Abstand zu fremden Hunden. Alles andere, was er nicht kennt, erkunden wir einfach gemeinsam - so wird es für ihn auch spannend und kein langweiliges mitlaufen. Er darf in der Stadt natürlich auch normal schnüffeln und gucken, wenn er will. Und wenn ich Zeitdruck habe, nehme ich ihn daher gar nicht erst mit, denn das ist auch für mich nur noch stressiger. 
Manchmal geht es für ihn jedoch nicht anders, als mitzukommen. Wir fahren im Sommer regelmäßig zum Campen, da kann er nicht zwei Stunden in der prallen Sonne im Wohnwagen auf uns warten. Und in einer fremden Wohnung, falls wir eine Ferienwohnung mieten, lasse ich ihn auch nicht allein. 
Am wichtigsten war für mich in der Stadt aber Coffees Leinenführigkeit an einer 2m Leine. Warum? Ich weiß wo es hingehen soll, wo Gefahren (Radweg; Parkplatz, auf den gerade ein Auto fahren will; Ladentür die zufällt) lauern. Er soll möglichst nicht einfach irgendwo hinrennen, ohne vorher mit einem Blick zu mir abgesichert zu haben, dass das ok ist. 
  

Leinenführigkeit?

Coffees "Fuß" - für manche wohl etwas zu weit von mir
entfernt...aber er zieht nicht und achtet auf mich!
Was ich unter Leinenführigkeit verstehe, ist vielleicht etwas anderes, als es die meisten anderen sagen. Coffee läuft auch mal in die Leine rein. Wenn er einen Grashalm unbedingt beschnuppern will, hängt er sich auch schon mal rein und "zieht". Aber grundsätzlich und vor allem, wenn ich ihm das sage, bleibt er in kurzem Abstand neben mir und zieht nicht weg. Ob nun links oder rechts, an meinem Bein klebend oder mit einem halben Meter Abstand oder ob er nun genau mit seiner Schulter auf Beinhöhe ist - das ist mir dabei nicht so wichtig.
Sowas ist mir im Alltag wichtig. Ich will keinen ewig röchelnden Hund haben, weil Halsband oder Geschirr ihm die Luft abdrückt, weil er so sehr zieht. Oder einen Hund, der in der Stadt vor Panik nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Ich möchte auch, dass der Hund in Läden mit rein kann und daran Spaß hat, mit mir solche kleinen "Abenteuer" zu erleben. Und für ihn ist es jedes Mal ein riesiger Spaß, wenn ich eine Tür aufdrücke und er zuerst in den Laden stolzieren kann. Im nächsten Moment schaut er unsicher zurück, weiß nicht mehr weiter, aber dann bin ich ja schon neben ihm und wir gucken gemeinsam weiter. Er findet es mittlerweile super lustig, fremden Leuten seine Tricks zu präsentieren, egal wo.
Auch ein Spaziergang im Wald nur an der Leine (weil der Köter halt wieder die ganze Zeit im Jagdfieber ist) oder ein Social Walk an der kurzen Leine sind für ihn keine Probleme. Wir haben auch mit Leine Spaß!

Viele Leute legen viel mehr Wert darauf, dass der Hund in jeder Situation frei laufen kann. Das hätte ich natürlich auch gern. Ein Hund, der immer frei laufen kann, weil er dich die ganze Zeit beobachtet und dir jeden Wunsch von den Augen abliest. Wer wünscht sich das nicht? Aber das ist nunmal doch recht utopisch. Zumal ich Coffee an einer Straße niemals ableinen würde. Es kann immer was sein. Eine Katze, die er jagen will. Eine Spur, die er erschnüffelt. Oder ein anderer Hund, sei es ein geliebter Hundekumpel oder der verhasste Feind. Und dann? Da hab ich doch lieber die Leine dran und fühle mich sicher. 

Alltagstauglichkeit ist für jeden was anderes!


Coffee war so sandig, dass er wohl oder übel geduscht werden musste...
Ja, jeder braucht etwas anderes im Alltag. Natürlich bin ich nicht ewig und andauernt in der Stadt und mein Hund muss nicht ständig bei Fuß gehen. Aber es sind Dinge, die mir trotzdem wichtig sind. So wichtig, dass sie wirklich sitzen müssen.
Wichtig wäre mir auch, dass Coffee Sozialverträglich ist. Das ist er bekannterweise nicht immer, wie ich ja hier schon Mal angerissen habe. Allerdings bleibt er dabei gut händelbar. Es reicht, wenn ich etwas ausweiche. Ihn manchmal kurz ablenke - oder ihm einfach eine Aufgabe gebe. Das ist vielleicht noch nicht optimal, aber wir arbeiten dran.
Genauso wichtig wie die Möglichkeit, Coffee mitzunehmen, ist mir die Möglichkeit, ihn allein zu lassen. Natürlich kann man nicht immer etwas dafür, wenn der Hund einfach nicht allein bleiben will - aber mir war es wichtig und so haben wir es von Anfang an trainiert.
Ich will Coffee wenn er dreckig ist auch wieder sauber machen. Ohne ihn dafür zwei Stunden durchtrocknen zu lassen und überall Sand zu haben und saugen zu müssen - daher kennt es Coffee, dass ich ihn in die Badewanne stelle oder mit dem Schlauch abdusche. Klar, er findet es nicht so klasse - aber es ist mir wichtig und er wird nicht drumherum kommen.

Nicht zu Alltagstauglichkeit gehört für uns, dass Coffee mit auf Messen oder Turniere kommen müsste. Denn das tut er nicht. Es wäre zu viel Stress, zumindest bei unserem derzeitigen Trainingsstand. Und bisher sehe ich auch nicht, dass sich daran jemals was ändern wird. Aber das muss es auch nicht.


Kadavergehorsam am Platz - die neidischen Blicke der Zuschauer

Natürlich finde ich es toll zu sehen, wenn die Hundeführer mit ihren Hunden auf dem Platz oder auf Turnieren arbeiten. Ich weiß, dass Coffee die vielen Hunde am Rand und die Menschen niemals genügend ausblenden könnte um entspannt zu arbeiten. Daher finde ich es umso erstaunlicher, wie viele Hunde das einfach ignorieren können und praktisch nur noch ihren Besitzer und ihre Aufgabe sehen. 
Ich kann verstehen, dass die Leute gern auf Turnieren sind und die Anerkennung der Zuschauer ist ja auch wirklich schön. Ich fand es ja selbst auch total toll auf der Doglive (wenn auch ohne Coffee) mal die Menschen und Hunde hinter den Blogs zu treffen, die ich so gern verfolge. Und ich habe mich auch gefreut, dass ich zumindest ein Mal erkannt wurde. Aber für Coffee ist das einfach nix.
Gerade auf Hundeplätzen sehe ich oft, dass die Hunde perfekt hören. Der Schäferhundplatz in unserer direkten Nachbarschaft ist da ein ganz passables Beispiel. Wenn ich da vorbei gehe sehe ich vor dem Eingang meist 4-10 Autos stehen. In jedem mindestens ein wartender Hund - denn trainieren kann immer nur einer! Wenn die Leute ihre Hunde dann holen, ziehen sie wie blöde, bellen uns an und hören gar nicht. Gehe ich weiter kann ich einige Zeit später nochmal auf den Platz gucken. Dort hören die Hunde relativ problemlos (es wird dort immer geschrien, ob das nun notwendig ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen), egal ob sie im vollen Galopp auf die Zielperson zusprinten oder sonstwas machen - die Hunde hören super. Aber als würde ein Schalter umgelegt werden, wenn sie durchs Tor kommen, habe ich da noch nie einen Hund erlebt, der außerhalb vom Platz wirklich Leinenführig wäre oder überhaupt auf seinen Besitzer achtet. 

Nun stellt sich natürlich die Frage, was da das Problem ist. Warum schließen sich Alltagstauglichkeit und Höchstleistungen auf dem Hundeplatz fast aus? Zumindest ist das mein Gefühl, was hier den Schäferhundverein betrifft. Leider habe ich mittlerweile von einer Freundin herausgefunden, dass viele Hunde dort 24/7 im Zwinger oder auf dem Hof leben und nur zwei Mal die Woche zum Platz geführt werden. Sie gehen (fast) nie Spazieren und sind somit natürlich nicht an Umweltreize etc. gewöhnt. Sie kennen es einfach nicht. Ich finde das sehr Schade.
In letzter Zeit merke ich aber auch immer wieder, dass es durchaus anders geht. Ich treffe vereinzelt Hunde, die auf dem Platz trainieren und auch davor gut hören! Und gerade im Agility oder beim Dogdance kenne ich mittlerweile viele Hunde, die nicht beides gut können - Alltag und Hundeplatz. Aber da sind ja auch die Rahmenbedingungen anders. Wer schon mal auf einer Messe mit DD-Act oder auf einem Agi-Turnier war weiß: Überall Hunde, fremde Menschen und alle möglichen Situationen. Die Hunde die da starten müssen auch damit klar kommen. Anders als die Schäferhunde, die im Training und auf Turnieren kaum auf Artgenossen treffen, kann man es da eben nicht vermeiden. Also müssen die Hunde trainieren, dass beides klappt. 


Ich will nicht behaupten, dass nicht beides klappen kann. Alltag und Hundeplätze/Turniere. Leider erlebe ich aber eben auch immer wieder, dass der Fokus nur auf einem von beidem liegt. Das finde ich grundsätzlich nicht schlimm. So ist das bei uns ja auch. Aber meiner Meinung nach muss mein Hund eben in gewisser Weise Alltagstauglich sein, während mit die Leistung auf dem Hundeplatz nicht so wichtig ist - denn mein Hund ist eben zu über 90% nicht auf Hundeplätzen!

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